Es ist mucksmäuschenstill, doch in dem großen Raum, der früher sicher mal ein Klassenraum gewesen ist, sitzen etwa fünfzig Schülerinnen und Schüler der Klassen 6b und 6c mit ihren beiden Klassenlehrerinnen Friederike Schlüter und Tanja Ullrich-Kreisel. Ich bin das „Mäuschen“, aber in Wahrheit eine schon etwas ältere und leicht ergraute Maus, die hier und nachher im Außengelände des Gymnasiums Stift Keppel ein wenig von dem miterleben darf, was die drei Klassen 6 des Gymnasiums Auf der Morgenröthe aus Niederschelden hier machen. Jetzt warten alle erst einmal auf Stefan von den Rothaarscouts, der mit ihnen über die ersten Erfahrungen in Stift Keppel reden wird.
Jeder nimmt hier jeden ernst und wichtig. Aber das hier ist anders als der Unterricht in der Schule. Hier wird das, was die Schülerinnen und Schüler schon als SLL, als „soziales Lernen lernen“ kennen, in einem neuen Rahmen ausprobiert und so richtig auf die Probe gestellt. An der Wandtafel hängt ein großes Plakat: „Miteinander leben – miteinander umgehen“, das Thema der drei Tage von Mittwoch bis Freitag.
Die ersten Regeln dazu haben die Schüler selbst aufgestellt, sie stehen für alle gut sichtbar auf der Flipchart. Darüber wird nun geredet, über faires Verhalten den anderen gegenüber, Zuverlässigkeit, gegenseitige Hilfe, eben das sinnvolle und wünschbare Miteinander. Eine Schülerin meldet sich und möchte etwas zum Streit am Vortag mit einem Schüler sagen: Wir haben uns wieder vertragen, jetzt ist es okay. Die anderen murmeln und klatschen. Gerade die beiden – das hätten wir nicht gedacht. Das Klärungsgespräch ist sehr offen und natürlich auch ganz wichtig für die weitere Arbeit, für das ganze Leben, sagt Stefan, solche Regeln gelten eigentlich immer und überall. Die Wege zu geeigneten Lösungen sind allen schnell klar: sich selbst gegenüber ehrlich sein, darüber auch mit anderen nachdenken und sprechen, Einsichten finden und diese im täglichen Umgang anwenden. Der Scout ist hier ein einfühlsamer und fairer Begleiter, der das Geschehen allerdings sehr genau im Blick hat – gelernt ist gelernt.
Dann kann es ja weitergehen. Alle Klassen sind jetzt mit ihren Betreuern, den Scouts, auf dem Außengelände. Heute ist ein wunderschöner Spätsommertag im September. Die Klasse 6a ist mit ihrer Klassenlehrerin Elisabeth Lemke und ihrem Scout gerade dabei, die gesamte Gruppe auf einer etwa zwei mal drei Meter großen Plane unterzubringen wie auf einem Floß. Die Wiese ist das Meer. Aber das ist noch keine große Kunst. Die Folie muss so vorsichtig gewendet werden, dass niemand daneben tritt und alle am Ende wieder darauf stehen. Es klappt.
Die Klasse von Frau Ullrich-Kreisel hat noch mehr Ehrgeiz und faltet die Folie in der Hälfte, doch das ist zu schwierig. Man gibt natürlich nicht auf und findet eine „Zwischenlösung“: Ein Drittel wird weggefaltet und dann passen wirklich alle drauf – vor und zurück. Wo unten viele Füße ganz eng beieinander stehen, recken oben alle vor Freude die Arme in die Luft, denn es hat fast funktioniert! Alle „Spiele“, die hier angeboten werden, sind Gruppenerlebnisse, setzen einen Prozess in Gang, bei dem es darauf ankommt, das gesetzte Ziel gemeinsam und geduldig zu erreichen. Manchmal gibt es Vorwürfe und Enttäuschung, aber dann wieder werden Vorschläge gemacht und Möglichkeiten ausprobiert: Wir zählen bis drei und dann machen wir es alle gemeinsam.
Denn die Gruppe ist ja wichtig, hier die Klasse, die noch einige Zeit so zusammen bleibt. Am Samstag kommen die Konfirmanden, dann wieder Mitarbeiter einer Firma oder junge Erwachsene aus einem Verein. Alle wollen und sollen lernen, in der Gruppe (möglichst gut) miteinander auszukommen und die gemeinsamen Ziele so zu erreichen, dass jeder die Möglichkeit hat, einen Beitrag zu leisten – gemeinsam sind wir stark, wir lernen miteinander und voneinander und einer trägt den anderen – soziales Lernen eben. Fordern und fördern.
Diejenigen, die diese Erfahrung im letzten Jahr oder sogar schon vor sechs Jahren gemacht haben, berichten mir später, dass nicht nur eine bessere Klassengemeinschaft entstanden ist oder dass man durch die vielen Übungen Selbstvertrauen entwickelt hat – vor allem der Blick für den anderen, den Menschen neben mir, hat sich verändert, denn die „Regeln“ von einst sind zur Selbstverständlichkeit geworden. Ach ja, die eine oder andere Übung wollen wir auch in der Oberstufe noch einmal machen und auch in den nächsten Jahren werden die sechsten Klassen der Morgenröthe wieder mit den Rothaarscouts eine völlig andere Form des Unterrichts erleben …
F. Klein